Kaum lassen die ersten Sonnenstrahlen den Frühling erahnen und das matte Grün des Grases etwas kräftiger werden, dröhnen allüberall als Zeichen der Zivilisation die Rasenmäher. Millionen Jahre altes Erdöl wird verbrannt, um das Leben der Natur zurechtzustutzen.
Die dröhnenden Rasenmäher sind für uns mahnendes Symbol eines spießigen Bemühens um formale Ordnung in einer wild-chaotischen Welt – und diesem sind Pfadfinder seit ihrem Entstehen stets entflohen, um in und mit der Natur zu leben, wenigstens in der Freizeit.
Doch es ist längst dran, die Natur auch wieder in unseren Alltag zurückzuholen, und das heißt: sie zuzulassen. Dafür werben wir, dafür treten wir ein. Nicht aus Romantik, sondern weil Natur unseren Alltag schöner und besser macht. Weil es sich besser lebt mit Pflanzen und Tieren um einen herum. Weil unsere Welt eher in Ordnung ist, wenn einiges “unordentlich” sein darf. Weil “leben und leben lassen” ein Motto ist, dem sich jeder anschließen können sollte.
Die Natur gehört nicht in Reservate, sondern in unsere Gärten und Parks, auf Balkone und Hausdächer, in die Feldränder und Wälder.
Ein paar einfache Tipps für Vereinsheime, Kirchengemeinden, Schulen, private Gärten etc.
Rasen
Natürlich muss manchmal und an bestimmten Stellen der Rasen gemäht werden. Aber dauerhaft kurzgeschorenes Gras ist außer zum Fußballspielen und Sonnenbaden für wenig zu gebrauchen. Auf dem englischen Rasen lebt fast nichts, keine Heuschrecke, keine Biene, keine Spinne, keine Schnecke. Der Boden wird ausgezehrt, im Sommer verbrennt das Gras (oder es muss teuer bewässert werden) – es sind einfach hässliche Flächen. Probieren Sie es selbst aus: Lassen Sie Ihr Gras einfach mal wachsen. Schon wenn es nur knöchelhoch steht, zieht bereits Leben ein. (Für Pfadfindergruppen: Einen Teil der Fläche weiter wie bisher kurzgeschoren halten, einen Teil wachsen lassen und die Unterschiede beobachten.)
Darf das Gras weiter wachsen, verändert sich das Bild immer mehr. Je nach Lage und Samenbank (meint: welche Pflanzensamen im Boden vorhanden sind) wird zunächst erkennbar, dass Gras nicht gleich Gras ist, sondern verschiedene Arten nebeneinander wachsen, die man erst unterscheiden kann, wenn sie größer werden. Weitere Pflanzen werden auftauchen und Blüten bilden (auch wenn das auf diese Weise nie – zumindest nicht innerhalb weniger Jahre – eine bunte Blumenwiese wird, wie man sie mit Saatmischungen auf nacktem Boden bekommt). Auch die Gräser werden blühen und sich nun deutlich unterscheiden. (Für Pfadfindergruppen: Auch Getreide ist Gras, da lässt sich viel schönes Programm zu machen.)
Rasenflächen seltener zu mähen verbessert das Mikroklima, bietet neuen Lebensraum für Insekten und damit auch Vögel, erspart uns Lärm und Gestank, kostet weniger Geld und Zeit (doch, man kommt auch durch hohes Gras mit dem gewöhnlichen Rasenmäher durch, wenn man die Technik beherrscht; aber besser ist dann ein Balkenmäher – und am besten natürlich die Sense, übrigens eine geradezu meditative Arbeit, wenn man es beherrscht bzw. ein wenig übt!).
Bei öffentlichen Flächen kommt noch ein wunderbarer Nebeneffekt hinzu: schon handbreit hohes Gras macht Hundekot unsichtbar, und er zersetzt sich im Gras verborgen auch viel schneller, als wenn er auf dem Kurzrasen mumifiziert wird.
Es gibt sogar ein Netzwerk “Kommunen für biologische Vielfalt“, das sich genau dafür einsetzt, denn: “Eine Pflegeextensivierung und somit eine Reduzierung der Mahdhäufigkeit ist ein wichtiger Schritt zu mehr Artenvielfalt auf städtischen Grünflächen.” Zahlreiche Kommunen praktizieren das bereits – viele, viele aber leider nicht (es kann jeder beobachten, womit von Frühling bis Herbst die Mitarbeiter der Bauhöfe oder Grünflächenämter vor allem beschäftigt sind: mähen, mähen, mähen – gerne im Lärmverband von großen & kleinen Rasenmähern, Motorsensen, Laubbläsern und Transportfahrzeugen).
Übrigens: Grasschnitt Woche für Woche wegzutragen, anstatt ihn (gehäckselt) an Ort und Stelle liegen zu lassen, entzieht dem Boden alle wichtigen Mineralstoffe und macht ihn mit der Zeit unfruchtbar – eine Zerstörung gigantischen Ausmaßes, über die so gut wie nicht gesprochen wird. (Dass viele Blumen gerade auf mageren Flächen wachsen, steht dem nicht entgegen: besteht kein natürlicher Kreislauf, ist der Boden irgendwann einfach tot.)
Der kurzgeschorene Rasen um Kirchen, Schulen, Dorfgemeinschaftshäuser etc. herum ist immer ein Zeichen, dass hier noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten ist. (Für Pfadfindergruppen: Macht mit, sprecht die Verantwortlichen an, werbt für mehr Natur in Dorf und Stadt.)
Wilde Ecken & das böse Laub
Wenn das Gras im Herbst nicht mehr (schnell genug) wächst, finden viele Hausmeister und Gartenwarte eine neue Beschäftigung in der Laubbekämpfung. Nicht nur vom Rasen wird jedes Blatt weggerecht oder -geblasen, selbst unter den Bäumen und Sträuchern darf es nicht liegen. Dabei ist es dort soooo wichtig! Wie beim Grasschnitt gilt: wer Laub entfernt, unterbricht einen seit Anbeginn des Lebens bestehenden Kreislauf und zerstört über die Zeit den Boden. Außerdem ist eine dichte Laubschicht ein wichtiges Biotop: wer es vergessen hat, sollte mal an einer beliebigen Stelle eine alte Laubschicht anheben und darunter- bzw. hineinschauen, was da alles lebt!
Von den Straßen muss Laub entfernt werden, das ist klar, aber es ist kein Müll, sondern gehört unter die Bäume und Sträucher, ggf. auch als größere Haufen. Auf dem Rasen stört ein bisschen Laub auch überhaupt nicht, wer es liegen lässt kann beobachten, wie schnell es von der Natur verarbeitet wird
(Für Pfadfindergruppen: Es ist ein wahnsinniges “Aha”-Erlebnis, wenn man Kindern, Jugendlichen oder sogar Erwachsenen einmal zeigt, wie viele Regenwürmer auf einer Grasfläche nachts aktiv sind, die aber so gut wie niemand sieht, weil es eben dunkel ist und sie sich blitzschnell in ihre Erdröhren zurückziehen, wenn Menschen angetrampelt kommen. Aber wer sich heranschleicht und dann plötzlich mit einer Taschenlampe leuchtet – am besten mit Rotlicht – der sieht auf einem gesunden Quadratmeter ein Dutzend Regenwürmer, die sich bei weißem Licht sofort wieder verkriechen, weil UV-haltiges Licht für sie tödlich ist.)
Zum Laub gesellen sollten sich auch die großen und kleinen Äste, die von Bäumen und Sträuchern abbrechen oder auch mal abgeschnitten werden. “Totholz” ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil eines gesunden Bodenbiotops. Und es hat überhaupt nichts mit Unordentlichkeit zu tun, wenn man unter Büschen das tote Geäst liegen lässt. Blank gerechte Erdflächen, die sehen unordentlich aus, weil da eben etwas nicht in Ordnung ist!
Wenn durch Beschnitt größere Mengen an Ästen anfallen, dann sollten sie in einer geeigneten Ecke auf einem Haufen gesammelt werden – so entsteht ohne Kosten und Aufwand ein ideales Winterquartier für Igel und ein Brutraum für viele Vögel im Frühjahr.
Obwohl unsere hessische Kirche selbst dazu aufruft, “wilde Ecken” in Pfarrgärten und an Gemeindehäusern zu schaffen, sieht man das leider noch sehr selten; versiegelte Parkplätze und kurzgeschorener Rasen mit ein paar Rabatten nichteinheimischer Blumen (Zierrosen, Hybridtulpen…) prägen fast überall das Bild. Von fehlender “Fassadenbegrünung” ganz zu schweigen.
Rasen und Laub/Äste sind nur zwei Beispiele, wie ohne jeden Aufwand mehr Natur in unsere “Grünflächen” einziehen kann. Für mehr Ideen, auch für Gruppenprogramm/ Umweltpädagogik, gibt es jede Menge Literatur. Unser Pfadfinderstamm arbeitet in dem Bereich eng mit den beiden Naturschutzverbänden BUND und Nabu zusammen, wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Der Beitrag von uns Pfadfindern sollte sein, für mehr Natürlichkeit in unserer Umwelt zu werben und wo immer möglich tatkräftig anzupacken.
Im Folgenden lose einige weitere Anregungen für das Projekt “Pfadfinder & Naturgarten” (weitere Tipps nehmen wir gerne auf)
+ Garten und Parks werden auch als Naturräume vom Menschen gestaltet. Natürlich kann man auch alles sich selbst überlassen, aber für die Vielfalt ist es gerade bei wenig Platz oft besser, wir schaffen die “idealen Voraussetzungen”. Es sollte gerade in den Großstädten auch immer solche Flächen geben (alte Industriebrachen etc.), auf denen der Mensch gar nichts macht, aber mit etwas Lenkung kann man gerade auf diesen kleinen “Natur-Inseln” Raum für mehr Lebewesen schaffen, als wenn man es einfach nur wuchern lässt. Nicht Weniges, was wir heute als Natur kennen, ist schließlich auch durch Eingriffe des Menschen geschaffen worden. So kann man eine Blumenwiese nur erhalten, wenn man sie 1- bis 2-mal pro Jahr mäht (und Heu macht). Andernfalls verbuscht die Wiese bald und es folgen Bäume – auch schön, aber eben keine Blumenwiese. Denn es fehlen die freilebenden, großen Grasfresser, die schon lange vor Ankunft des Menschen in Europa für solche Flächen gesorgt haben, die heute teure Naturschutzprojekte sind.
Deshalb ist es schon sinnvoller, im kleinen Pfarrgarten oder rund ums Bürgerhaus gezielt ein paar “ökologisch wertvolle” Sträucher zu pflanzen, als einfach darauf zu warten, dass da irgendwann schon das Richtige wachsen wird, ganz von alleine…
+ Neben dichten einheimischen Sträuchern gibt es viele andere ökologisch sinnvolle Kleinsträume, die man ums Haus herum schaffen kann: sonnige Steinhaufen, schattige Asthaufen, einzelnes Totholz unter Bäumen und Sträuchern, ein Hügel mit grobem Grasschnitt etc.
Garten-Tipps:
(Wenn ihr einen Garten habt, auf den ihr irgendwie “Einfluss” nehmen könnt…)
+ Ersetzt exotische Pflanzen nach und nach durch einheimische. Da gibt es natürlich auch große Unterschiede (in manchen leben mehr Vögel als in anderen, Blüten und Früchte können einen guten Beitrag leisten, auch an fressbares für Raupen kann man denken etc.)
+ Um Vögel im Garten zu haben genügt es nicht, Meisenknödel und Nistkästen aufzuhängen. Der Garten muss Lebensraum für Insekten sein, die viele Vögel unabdingbar zur Fütterung ihres Nachwuchses brauchen. Das bedeutet u.a., dass Raupen ihre Futterpflanzen vorfinden müssen (bei Schmetterlingen, die alle toll finden, denken die meisten Menschen immer nur an Blüten; das größere Problem für die meisten Schmetterlingsarten sind aber die Pflanzen, von denen sie sich als Raupen ernähren – und der Schmetterling ist nun mal die weitaus größte Zeit seines Lebens Raupe).
+ Um Insekten Lebensraum zu bieten, braucht es nicht die inzwischen sehr populären “Insektenhotels”. Totholz stehen- bzw. liegen lassen ist die natürlichere Hilfe. Und wenn “Insektenhotels” bebaut werden: sie brauchen die volle Sonne (meist bekommen sie aus falscher Fürsorge ein Schatten spendendes Dach – und sie werden von den gewünschten Insekten gar nicht angenommen).
+ Rasen seltener mähen. Vor allem nicht vor und während Trockenperioden. Höheres Gras schützt den Boden und dessen Lebewesen, außerdem sammelt sich darin der nächtliche Tau – die wichtigste Wasserquelle in der Trockenzeit. Und keine Mähroboter einsetzen! Hohes Gras (Naturwiese) mit der Handsense ein- oder zweimal im Jahr mähen (nicht mit der lärmenden Motorsense), ansonsten – wenn der Rasen viel genutzt wird und daher kurz sein muss – den guten alten handbetriebenen Spindelmäher benutzen – leise, abgasfrei und mit sauberem Schnittergebnis.
Bei größeren Rasenflächen empfiehlt sich immer eine “Mosaik-Mahd”, das heißt: stets nur einen kleinen Teil mähen, den Rest wachsen lassen. So gibt es immer Flächen mit hohem und Flächen mit niedrigem Gras – damit ist für alle Tiere gesorgt und die Pflanzen können sich vermehren. So ernährt sich der Grünspecht vor allem von am Boden lebenden Ameisen – die er nicht im hohen Gras findet. Aber das höhere Gras ist wichtiger Unterschlupf für viele Tiere, bildet Samen und bietet, wenn man es über Winter stehen lässt, sogar Raum für Larven und überwinternde Insekten.
Nutzgarten
Unter einem anderen Aspekt sinnvoll ist ein (kleiner) “Nutzgarten”. Hier geht es vor allem darum, das (fertig verarbeitete) Essen wieder mit Pflanzen und deren aufwendiger, aber auch erfüllenden Pflege in Verbindung zu bringen. In vielen Mahlzeiten stecken zwar heute Zutaten, die wir nicht im kleinen Gärtchen anbauen können, aber das Prinzip lässt sich mit genügend Beispielen zeigen.
Selbst Kartoffeln anzubauen, ihre Entwicklung zu beobachten und nach der Ernte daraus Pommes frites zu machen ist sicherlich in vielen Wölflingsmeuten oder Juffi-Gruppen ein fester Programmpunkt. Wir wechseln in unserem kleinen “Bio-Gärtchen” immer ab, nicht nur wegen der “Fruchtfolge”, sondern damit verschiedene Themen im Laufe der Zeit drankommen. Also wird mal Getreide gepflanzt (am Ende dann: dreschen, mahlen, Fladenbrot backen), mal Kartoffeln, mal Kohl, Salat und Spinat. Am Rand immer ein paar Sonnenblumen fürs eigene Vogelfutter.
Torf bzw. Pflanzenerde mit Torf-Anteilen ist natürlich völlig tabu. Mit dem Torfabbau werden nicht nur einmalige Naturgebiete zerstört, es wird auch der Klimawandel damit drastisch verstärkt. Info beim Nabu; Planet Wissen zum Torfabbau (3 Minuten Video)
Zusammenfassung
– Wildnis zulassen; es gibt kein “Unkraut”, es gibt nur Pflanzen, die man lieber an einer Stelle haben mag als andere.
– Rasen wachsen lassen. Wo nicht unbedingt früher notwendig: nur ein bis zwei Mal pro Jahr mähen, und dies immer stückweise (Mosaik-Mahd). Nicht mähen, wenn Trockenzeit angekündigt ist. Tierschonend mähen (so dass möglichst wenig kleine Tiere getötet werden).
– Material-Kreislauf bilden: Laub und Äste liegen lassen bzw. an einzelnen Orten im Garten/ Park sammeln.
– Nur einheimische Arten pflanzen (problematische Neophyten ggf. auch entfernen, z.B. Riesen-Bärenklau)
Literatur & Links
Inspirationen für Naturgärten
+ Aktive Gruppen, denen man sich vielleicht anschließen kann
+ Beispiel einer Kirchengemeinde, die gärtnert
+ Ausflugstipp Naturgarten (Naturgarten des Nabu in der Blumberger Mühle in 16278 Angermünde, neu seit Mai 2018)
+ Buch von Ulrike Aufderheide: Rasen und Wiesen im naturnahen Garten: Neuanlage – Pflege – Gestaltungsideen; Pala Verlag
Nutzgarten
+ Wir greifen zum Nachschlagen auf den uralten Klassiker “Der Biogarten” von Marie-Luise Kreuter († 2009) zurück
Kochbücher
+ Wilde Küche
+
Vorbildliche Kommunen & Organisationen:
+ Beispiele bei “Kommunen für biologische Vielfalt”
Negative Vorbilder:
+ Stadt Stuttgart macht Kahlschlag auf einem kleinen Flecken Natur – der auch noch ein Kunstwerk war.
+ Beispiel für “Amtliche Bekanntmachung“, dass es auf dem Grundstück nicht natürlich blühen darf
Mit der Aktion Kleine Stadtwildnis wollen Herfort und sein Team noch mehr solcher wilden Ecken schaffen. Sie rufen die Bev lkerung auf, Lebensr ume zu bewahren und zu f rdern. Schon kleine Gesten w rden helfen, sagt Stephie Burkart, die f r die Aktion verantwortlich ist. Es reicht, wenn man einen Teil des Gartens der Natur berl sst und weniger stark eingreift. Dabei gelte es etwa, auf den Einsatz von Giften zu verzichten. Das Erhalten solcher wilden Ecken im eigenen Garten ist allerdings mit einem gewissen Aufwand verbunden. Es braucht mehr Wissen, einen etwas wilden Garten zu pflegen, als einen Rasen zu m hen , sagt Burkart.